Einführung
Seit den 1970er Jahren hat sich gezeigt, dass es Informations- und Kommunikationstechnologien gemeinsam möglich machen, Arbeit räumlich zu verlagern. In den 1980er Jahren wurde die Aufmerksamkeit auf die sogenannte Telearbeit gelenkt, bei der die Arbeitsleistung statt in einem normalen Büro in der Wohnumgebung des Arbeitnehmers erbracht wurde. In den 1990er Jahren zeigte sich, dass Arbeit auch auf internationaler Ebene verlagert werden konnte. Diese Entwicklung wurde als „Offshore Outsourcing“ bezeichnet. Innerhalb des nächsten Jahrzehnts bildeten sich mächtige internationale Unternehmen, die telemediale Dienstleistungen anboten und zunehmendes „Global Sourcing“ praktizierten. Dabei konnten Arbeitnehmer aus unterschiedlichen Teilen der Welt bestimmte Dienstleistungen orts- und zeitunabhängig gemeinsam erbringen. Im jetzigen (derzeitigen) Jahrzehnt haben diese Entwicklungen eine kritische Masse erreicht und zur Herausbildung völlig neuer Formen der Arbeitsorganisation geführt, die durch Online-Plattformen koordiniert werden.
Was versteht man unter Crowdworking?
Für diese neuen Formen der Arbeit werden unterschiedliche Begriffe mit unklarer Abgrenzung verwendet, wieCrowdworking, Crowdworking „Sharing Economy“, „menschliche Cloud“, „Arbeit auf Abruf“, „digitale Arbeit“... Im vorliegenden Diskussionspapier ist der Begriff. Crowdworking definiert als Arbeit, die über Online-Arbeitsvermittlungen organisiert wird. Dazu zählt eine ganze Reihe von Arbeitsformen, die auf der Grundlage unterschiedlichen Kriterien gegliedert werden können, zueinschließlich des beruflichen Status (von hochqualifizierten Beratungstätigkeiten durch Fachleute bis hin zu simplen Routineaufgaben); des Ortes der Durchführung, ob online oder offlinedies wird jedoch online koordiniert); des Ortes der Leistungserbringung (zu Hause, in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers oder anderswo); des Beschäftigungsstatus der Leistungserbringer (angestellt oder selbständig erwerbstätig) und der Durchführung der Tätigkeit (für ein Unternehmen oder für einen privaten Kunden). Weitere Parameter sind beispielsweise, ob eine Tätigkeit als Hauptbeschäftigung oder als Nebenerwerb durchgeführt und wie sie abgegolten wird (z. B. regelmäßiges Gehalt, nach Stunden oder einen Akkordlohn ).
Der Umfang des Crowdworkings
Die CrowdworkingBeschäftigten im Crowdworking sind äußerst vielfältig und über diesoziodemografischen Merkmale ist nur wenig bekannt.. Es liegen kaum Zahlen in Bezug auf die Größenordnung dieser Arbeitsform weltweit vor. Eine Möglichkeit zur Berechnung der Beschäftigten im Crowdworking ist die Schätzung der Anzahl von Plattformen und der durchschnittlichen Zahl der aktiven Beschäftigten pro Plattform. Leider sind beide Faktoren mengenmäßig ausgesprochen schwierig zu bestimmen. Die Zahl der Plattformen ist groß und wächst rasch, während die Anzahl der jeweils registrierten Arbeitskräfte aus vielerlei Gründen ungenau sein kann. Zum einen ist es möglich, dass einige registrierte Personen nicht aktiv sind, zum anderen kann sich eine Person mehrfach unter verschiedenen Identitäten registrieren, und drittens ist anzunehmen, dass sich viele Personen auf mehreren Plattformen registrieren, sodass das addieren aller registrierten Benutzer unterschiedlicher Plattformen zu Doppelzählungen führen kann.
Bei Offline-Tätigkeiten, die über Crowdworking-Plattformen vermittelt werden, sind Statistiken noch schwieriger aufzutreiben. Teils liegt das daran, dass die Anbieter aufgrund der örtlichen Begrenzung der Dienstleistungserbringung keine Veranlassung sehen, mit der weltweiten Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte zu werben.
Eine andere Form des Crowdworking sind Tätigkeiten, die von Angestellten intern über Online-Tools abgewickelt werden, die den Crowdworking-Plattformen ähnlich sind. Diese lassen sich im Wesentlichen in zwei Kategorien unterteilen, nämlich die Zuteilung von Vollzeitbeschäftigten zu virtuellen Teams im Rahmen von projektbasierten Tätigkeiten und die bedarfsorientierte Zuweisung von Aufgaben an externes Personal mit Werkverträgen. Die Daten über diese Arbeitsformen verbergen sich in der allgemeinen Beschäftigungsstatistik und bislang erfolgte noch kein Versuch diese Größenordnung zu ermitteln Es existiert zwar eine breite Masse an Fachliteratur sowohl über Veränderungen in Bezug auf die Arbeitsorganisation als auch über Beschäftigungspraktiken welche auf eine Zunahme dieser Trends hindeutet. Ohne eindeutige Definitionen ist es jedoch nicht möglich,diese Daten zu benutzen, um daraus eine Wachstumsrate abzuleiten. Darüber hinaus sind Null-Stunden-Verträge bzw. Arbeit auf Abruf in vielen europäischen Ländern rechtlich nicht zulässig, sodass keine Daten dazu vorliegen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass – trotz deutlicher Hinweise auf einen nennenswerten Anteil von Beschäftigten im Crowdworkingin den genannten Bereichen und einer signifikanten Zunahme dieses Phänomens – derzeit keine zuverlässigen Schätzungen des tatsächlichen Ausmaßes vorliegen. Die im Crowdworking Beschäftigten unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, doch bevor das demografische Profil dieser Gruppe mit Sicherheit bestimmt werden kann, besteht weiterer Forschungsbedarf.
Gesundheits- und Sicherheitsrisiken des Crowdworkings
Die enorme Vielfalt der Aufgaben, die von Crowdsourcer erbracht werden und die unterschiedlichsten Orte, an denen die Tätigkeit verrichtet werden, lassen auf eine große Bandbreite an Gesundheits- und Sicherheitsrisiken schließen.
Physische Risiken – Online-Tätigkeiten
Die Arbeit am Computer kann zu Stress und physischen Störungen wie Augenermüdung oder Erkrankungen des Bewegungsapparats führen. Arbeitgeber müssen eine Gefährdungsbeurteilung durchführen und geeignete Maßnahmen ergreifen, um sichere Arbeitsbedingungen und eine gefahrlose Arbeitsumgebung zu gewährleisten. Bei freiberuflichen Tätigkeiten können diese Verpflichtungen ausgelagert und die Risiken an die einzelnen Beschäftigten übertragen werden. Obwohl keine systematisch erhobenen Daten vorliegen, scheint es sehr wahrscheinlich, dass bei Crowdworking viele Vorschriften nicht eingehalten werden. Zum Beispiel:
- Die Beschäftigten arbeiten an Laptops oder anderen Computern, bei denen Bildschirm, Tastatur und Maus nicht den ergonomischen Anforderungen entsprechen.
- Die Leistungserbringer sind in häuslichen Umgebungen oder im öffentlichen Raum tätig, wo Sitzgelegenheiten und Arbeitsflächen die falsche Höhe aufweisen oder auf andere Art die Einnahme einer ungünstigen Körperhaltung erfordern, was zu Erkrankungen des Bewegungsapparats führt.
- Die Beschäftigten arbeiten in einem unzureichend ausgeleuchteten, lärmbelasteten, verschmutzten, überfüllten Umfeld oder bei Temperaturen, die für das Wohlbefinden zu hoch bzw. zu niedrig sind.
- Arbeiten unter Termindruck oder das Streben bestimmte Arbeitsziele erreichen zu müssen, kann begünstigen, dass in einem erhöhten Arbeitstempo und ohne Pausen gearbeitet wird, was wiederum die Ermüdung der Augenverstärkt und zu Verletzungen durch wiederholte Beanspruchungen sowie berufsbedingtem Stress führen kann
- Möglicherweise können sich die Beschäftigten keine Sehtests oder geeigneten Linsen für die Bildschirmarbeit leisten bzw. sehen darin keinen Bedarf. Auch dadurch kann eine Überanstrengung der Augen ausgelöst werden und damit einhergehende gesundheitliche Schwierigkeiten wie Kopfschmerzen verursacht werden.
- Die Leistungserbringer sind nicht ausreichend geschult – auch in Bezug auf Aspekte der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit.
Physische Risiken – Offline-Tätigkeiten
CrowdworkingTätigkeiten des Crowdworking, die offline ausgeführt werden, finden sowohl physisch als auch rechtlich gesehen in einem Raum statt, der noch schwieriger abzugrenzen ist als jener für Online-Tätigkeiten. Einige Aufgaben, die an Crowdsourcer vergeben werden, können für die Beschäftigten als gefährlich eingestuft werden. Dazu gehören z. B. Bauarbeiten. Bei anderen Aktivitäten, wie beim Taxifahren, sind die Fahrer Angriffen oder Belästigungen durch Kunden ausgesetzt. Die Gefahr zwischenmenschlicher Gewalt oder Belästigung besteht – neben zahlreichen potenziellen Unfallrisiken – auch dann, wenn Dienstleistungen bei den Kunden zu Hause erbracht werden.
Das physische Gefahrenpotenzial für Offline-Beschäftigte kann durch verschiedene Faktoren noch verschärft werden, darunter:
- Mangelnde Ausbildung (Keine Schulung)
- Fehlende Qualifikation oder Zulassung für die erbrachten Leistungen (oder fehlende Kenntnisse darüber, welche Qualifikation oder Zulassung erforderlich ist)
- Fehlendes Wissen über bzw. mangelndes Verständnis für die entsprechenden gesetzlichen Vorschriften (durch Leistungserbringer oder Kunden)
- Unklare Definition der zu erbringenden Leistung, was dazu führt, dass der Leistungserbringer (oder Kunde) nicht absehen kann, welche Tätigkeiten erforderlich sind oder welche Hilfsmittel, Ausrüstungsgegenstände oder Materialien bereitgestellt werden sollten
- Fehlende Sicherheitsausrüstung und Schutzkleidung
- Druck, Leistungen innerhalb kurzer Fristen zu erbringen, führt dazu, dass in Bezug auf Verfahren für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit Zugeständnisse gemacht und zu wenige Pausen eingelegt werden
- Unterbrechungen und Ablenkungen verursachen Fehler. Manche dieser Fehler können extern bedingt sein (z. B. durch die Anwesenheit von Kindern oder unbeteiligten Personen), andere können im Zusammenhang mit den besonderen Gegebenheiten des Crowdworkings stehen, beispielsweise der Notwendigkeit, auf Nachrichten zu reagieren, die die Crowdworking-Plattform mittels Smartphone-App übermittelt. Solche Gefahren sind insbesondere im Straßenverkehr hoch, wo Ablenkungen durch Sprachnachrichten oder Anrufe zu schweren Unfällen führen können
- Erschöpfung durch lange Arbeitszeiten
- Belastungen gegenüber Risiken, die in einer regulären Arbeitsumgebung nicht zulässig wären
- Schwierigkeit, beim Auftreten einer Berufskrankheit einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den durch die Tätigkeit bedingten Gefahren und der Erkrankung nachzuweisen
All diese Faktoren können zusammenwirken und gemeinsam Erkrankungen des Bewegungsapparats und psychosoziale Probleme wie berufsbedingten Stress verursachen.
Psychosoziale Risiken
Psychosoziale Risiken können auf eine Vielzahl von Arbeitsbedingungen zurückgehen, die für das Crowdworking typisch sind. Allerdings gilt die herkömmliche Zwei-Faktoren-Theorie für die Arbeitszufriedenheit nicht für diese neuen Formen der Arbeit, sodass die üblichen Vorsorgemaßnahmen möglicherweise nicht anwendbar sind. Diese Arbeitsbedingungen umfassen die folgenden Aspekte:
- In Bezug auf einen Großteil der Arbeit herrscht Unsicherheit, weil es für viele Beschäftigte von Tag zu Tag oder sogar von Stunde zu Stunde unklar ist, ob es noch Arbeit für sie gibt, und wenn ja, um welche Tätigkeiten es sich handelt und wann – unter Umständen auch ob – sie bezahlt werden. (In manchen Fällen erfolgt keine Bezahlung, da der Kunde die erbrachte Leistung als nicht akzeptabel erachtet).
- Die Bedeutung von Bewertungen durch Arbeitgeber oder Kunden bestimmt bei vielen Formen des Crowdworkingsnicht nur, ob der Leistungserbringer weiterhin Arbeit erhält und in der Lage ist, dafür einen angemessenen Preis zu verlangen, sondern sogar, ob er überhaupt weiterhin in der Datenbank verbleibt.
- CrowdworkingDie Beschäftigten müssen ihre Leistungen oft sehr kurzfristig erbringen. Personen, die online tätig sind, müssen damit rechnen einen Auftrag zu verlieren, wenn sie zögern, bevor sie auf die Schaltfläche „Annehmen“ klicken. Personen, die offline tätig sind, werden möglicherweise über eine Smartphone-App in dem Moment an einen bestimmten Ort einberufen, in dem sie benötigt werden. Dabei müssen sie sich unter Umständen darüber im Klaren sein, dass der Auftrag storniert oder anderweitig vergeben wird, wenn sie sich verspäten.
- Mit der Verflechtung von beruflichen und außerberuflichen Tätigkeiten geht auch einher, dass die Beschäftigten verschiedenen Unterbrechungen und Ablenkungen ausgesetzt sind (beispielsweise durch Kinder, Haustiere oder unbeteiligte Personen), die die Konzentration erschweren.
- Die Arbeitsintensität trägt ebenfalls zu psychosozialen, aber auch zu physischen Erkrankungen bei. Die im Online-Crowdworking Beschäftigten müssen möglicherweise knappe Fristen einhalten (hauptsächlich höher qualifizierte Freiberufler) oder haben einen niedrigen Stücklohn für Mikroaufgaben (hauptsächlich geringer qualifiziertes Büropersonal), während Personen, die Offline-Tätigkeiten nachgehen, unter dem Druck stehen, einen Auftrag zum Fixpreis abzuschließen und möglichst bald mit dem nächsten zu beginnen – all diese Umstände begünstigen ein rasches Arbeitstempo ohne Pausen.
- Oft wird die Suche nach anstößigen Inhalten im Internet an Beschäftigte im Crowdworking ausgelagert. Es ist wahrscheinlich, dass die Notwendigkeit, wiederholt pornografische, sadistische oder gewaltverherrlichende Bilder zu betrachten, zu einer psychischen Belastung führt.
- Wie andere Beschäftigte, die persönliche Dienstleistungen anbieten, stehen Personen, die Offline-Tätigkeiten bei den Kunden zu Hause ausführen, unter dem Druck, hohe emotionale Arbeitsanforderungen zu leisten.
- In vielen Fällen werden die Kosten für die Versicherung und das mit der Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz verbundene Risiko an die Beschäftigten übertragen.In Europa unterscheidet sich der Grad, zu dem sich das Fehlen eines sicheren und dauerhaften Beschäftigungsstatus auf die Kosten für Gesundheitsleistungen auswirkt, von Land zu Land. Doch selbst in Ländern, in denen eine kostenlose Gesundheitsversorgung besteht, bereitet der Verdienstausfall den Beschäftigten Sorgen, wenn sie eine Erkrankung oder Verletzung am Arbeiten hindert. Auch andere (staatliche) Leistungen, wie beispielsweise Elternurlaub, können wegfallen. Der Mangel an diesen Leistungen erhöht nicht nur die Unsicherheit, sondern schafft auch eine psychische Belastung, die sich auf Familien- und Arbeitsleben gleichermaßen auswirkt.
- Möglicherweise haben im Crowdworking Beschäftigte keinen direkten Kontakt zum Endkunden, sodass sie sich diesem gegenüber weder einzeln noch kollektiv äußern können. Selbst wenn Online-Tätigkeiten von Arbeitnehmern in virtuellen Teams ausgeführt werden, ist es wahrscheinlich, dass viele dieser Effekte aufgrund der geografischen Entfernung vom Arbeitgeber trotzdem auftreten. Isolation, die Notwendigkeit der Selbstverwaltung, fehlende soziale Unterstützung sowie zwangsläufige Autonomie sind Faktoren, die die psychosozialen Risiken durchwegs erhöhen.
- Unbeaufsichtigten und nicht überwachte Beschäftigten fehlt aber auch in anderer Hinsicht die Kontrolle. So können diese zur Stressbewältigung beispielsweise abweichende oder gesundheitsgefährdende Gewohnheiten (wie Alkohol- oder Drogenabhängigkeit) entwickeln, die einem Arbeitgeber in einem normalen Arbeitsumfeld auffallen würden, hier jedoch rasch eskalieren können, wenn sie niemand bemerkt.
Offene Fragen
Das rasche Wachstum der Online-Arbeitsvermittlungen bietet sowohl auf konzeptueller als auch auf regulatorischer Ebene erhebliche Herausforderungen. Einige europäische Länder sowie der Ausschuss Hoher Arbeitsaufsichtsbeamter (SLIC) haben Diskussionen über diese neue, nach wie vor weitgehend unerforschte Form der Arbeit angestoßen. Zu einigen der ungelösten Fragestellungen zählen:
Der Status von Online-Arbeitsvermittlungen
Online-Arbeitsvermittlungen können unterschiedliche Formen annehmen und sind daher schwierig einzuordnen. Beispielsweise stellt sich die Frage, ob sie als Zeitarbeitsfirmen, Arbeitsvermittlungen, soziale Unternehmen, Dienstleister (die z. B. Taxi-, Reinigungs- oder Pflegedienstleistungen erbringen), Werbeplattformen oder einfach nur als Online-Anbieterverzeichnisse betrachtet werden sollen. Bis diese Frage beantwortet ist, bleibt unklar, welche Vorschriften anwendbar sind.
Wer ist der Arbeitgeber?
Bedingt durch die Vielzahl verschiedener Modelle und die Unterschiede in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften gibt es auf diese Frage nicht nur eine Antwort. Wenn Unternehmen Online-Plattformen zur Verwaltung der Tätigkeiten ihrer eigenen Mitarbeiter nutzen, sind nur zwei Akteure beteiligt: der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer. Die zentrale Frage ist daher, ob dem Arbeitnehmer dieselben Rechte zustehen wie anderen Mitarbeitern. Andernfalls sind an jeder Transaktion, die über eine solche Plattform abgewickelt wird, in der Regel mindestens drei Akteure beteiligt: der Endkunde, der Online-Vermittler und der Leistungserbringer. Bei Plattformen, die den Kontakt zwischen professionell tätigen Freiberuflern und Kunden herstellen, steht der selbständige Status des Freiberuflers meist außer Zweifel. Am stärksten umstritten sind jene Fälle, die die Online-Koordination von gering qualifizierten Online- sowie von Offline-Tätigkeiten betreffen. Die Lage in Europa ist unklar. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass Beschäftigte, die manuelle Arbeiten oder gering qualifizierte Bürotätigkeiten verrichten, die über Online-Plattformen organisiert werden, in vielen Mitgliedstaaten als deren Angestellte betrachtet werden könnten. Bei höher qualifizierten Freiberuflern müssten weitere Kriterien geprüft werden, um festzustellen, ob die Leistungserbringer gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften tatsächlich selbständig sind. Die Klärung dieser Frage ist für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit unerlässlich, da ohne eindeutige Definition des Arbeitgebers keine Zuweisung der Verantwortung erfolgen kann.
Versicherungsangelegenheiten und Haftpflicht
Wer ist verantwortlich, wenn es bei Offline-Tätigkeiten in der Wohnung eines Kunden zu einem Unfall kommt? Wie kann ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer Berufskrankheit und der beruflichen Tätigkeit nachgewiesen werden, und wer übernimmt beim Auftreten von Berufskrankheiten die Verantwortung? Muss die Versicherung des Auftraggebers oder der Plattform in Leistung treten, oder soll der einzelne Leistungserbringer zur Verantwortung gezogen werden? Was passiert, wenn der Leistungserbringer auf dem Weg zur Arbeit oder auf dem Rückweg in einen Unfall verwickelt wird? Wer ist bei Online-Tätigkeiten haftbar, wenn sich beispielsweise ein über eine Online-Plattform bei einem Autor in Auftrag gegebener Artikel als diffamierend erweist? Auf einigen Online-Plattformen sind Versicherungsangelegenheiten und Haftpflicht klar geregelt (meist in Form von Haftungsausschlüssen), doch dies ist keineswegs immer der Fall. Im Gegensatz dazu teilen andere Plattformen den Benutzern mit, dass ein Versicherungsschutz besteht.
Anwendbarkeit von EU-Richtlinien und einzelstaatlichem Arbeitsrecht
Unsicherheit herrscht auch hinsichtlich der Anwendbarkeit einzelstaatlicher und europäischer Rechtsvorschriften – darunter die Richtlinien über Arbeitszeitgestaltung, Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Schwarzarbeit, gleiches Entgelt und Gleichbehandlung sowie Elternurlaub. Von besonderer Bedeutung ist die Richtlinie zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis (91/383/EWG), die vorsieht, dass Arbeitnehmer mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis das gleiche Schutzniveau wie andere Arbeitnehmer genießen. Diese Richtlinien lassen sich nur schwer auf Online-Arbeitsvermittlungen anwenden, solange deren rechtlicher Status – und der rechtliche Status ihrer Beschäftigten – nicht geklärt ist.
Auf einzelstaatlicher Ebene treten ähnliche Probleme in Bezug auf die Anwendbarkeit nationaler Regelungen, beispielsweise über Mindestlöhne, Gleichbehandlung, Steuern und Sozialversicherungsabgaben sowie Sicherheitsvorschriften, auf. Sehr wichtig ist auch die Frage, auf welche Möglichkeiten der sozialen Absicherung Beschäftigte im Crowdworking zurückgreifen können und wie Ansprüche erworben und geltend gemacht werden können.
Verbraucherschutz und öffentliche Sicherheit
Themen im Zusammenhang mit der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz bei der Arbeit im öffentlichen Raum oder in Privatwohnungen sind sowohl Sache der betroffenen Leistungserbringer als auch der Öffentlichkeit. Allerdings ist nicht immer eindeutig, ob diese Themen als Fragen der öffentlichen Sicherheit, anhand von Vorschriften über Umweltschutz und Gesundheitswesen oder spezifischer als arbeits- oder verbraucherschutzrechtliche Angelegenheiten behandelt werden sollen. In vielen Ländern hat die Beantwortung dieser Frage praktische Konsequenzen, da davon abhängt, welche Einrichtung für Überprüfung, Beschwerden und Durchsetzungn zuständig ist.
Anerkennung von Qualifikationen und berufliche Verantwortung
Viele Online-Plattformen werben damit, dass die Leistungen von Personen mit bestimmten Fertigkeiten erbracht werden. Es ist jedoch keineswegs immer eindeutig, ob diese Qualifikationen tatsächlich vorhanden sind und wessen Aufgabe ihre Überprüfung ist. Dieser Aspekt hat Konsequenzen in Bezug auf die berufliche Verantwortung, was insbesondere dann von Bedeutung ist, wenn Vorschriften vorsehen, dass Leistungserbringer einschlägige Qualifikationen (z. B. für Gesundheitsdienstleistungen oder Elektroinstallationen) vorweisen müssen oder eine Prüfung des Strafregisters (z. B. in Bezug auf Verurteilungen für Diebstahl oder Gefährdung im Straßenverkehr) vorgenommen werden muss. Einige Plattformen – jedoch bei Weitem nicht alle – geben an, dass all ihre Beschäftigten gründlich überprüft wurden (wobei dieser Vorgang keineswegs immer genau erläutert wird). Das Fehlen solcher Überprüfungen kann dazu führen, dass nicht nur eine Gefährdung der Sicherheit und Gesundheit des betreffenden Leistungserbringers, sondern auch der Kunden und der Öffentlichkeit eintritt.
Schlussbemerkungen
Die Entstehung von Online-Arbeitsvermittlungen wirft wesentliche Fragen für Gesetzgeber, Arbeitgeber und Sozialpartner auf. Es scheint wahrscheinlich, dass selbst Bereiche des Arbeitsmarkts, die kein unmittelbares Crowdworking praktizieren, davon indirekt in unterschiedlicher Art und Weise betroffen sind. Dazu zählt beispielsweise der Druck, Preise oder Löhne zu senken, um mit den über Online-Plattformen erbrachten Dienstleistungen in Wettbewerb treten zu können. Besonders gefährdet sind in diesem Zusammenhang kleine und mittlere Unternehmen. Die politischen Entscheidungsträger in Europa werden einige schwierige Entscheidungen hinsichtlich der Art und des Ausmaßes der Förderung und Regulierung der Sharing Economy zu fällen haben. Zweifellos bietet Crowdworking neben den Gefahren auch neue soziale und wirtschaftliche Möglichkeiten. Zu den Chancen des Crowdworkings zählen:
- Ermöglichung des Zugangs zu Beschäftigung für Menschen, die ansonsten vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind (z. B. Menschen mit Behinderungen, Menschen in Entwicklungsländern)
- Bereitstellung kostengünstiger Leistungen für Kunden zum gewünschten Zeitpunkt
- Schaffung neuer Möglichkeiten für die flexible Gestaltung von Arbeits- und Privatleben
- Ermöglichung eines kostengünstigen Marktzugangs für junge Unternehmen, die neue Produkte oder Dienstleistungen testen, was zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit beiträgt
- Förderung sozialer Innovation
- Förderung von Kreativität und Selbstdarstellung sowie der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen im kulturellen Bereich.
- Unterstützung bei der Konsolidierung des digitalen Binnenmarkts in Europa
Zu den Gefahren des Crowdworkings zählen:
- Umgehung bestehender Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmern und Verbrauchern im großen Stil
- Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit von Beschäftigten und Verbrauchern
- Wettbewerbsverzerrung auf etablierten Märkten (z. B. Unterbringung, Verkehr usw.)
- Wachsende soziale Unsicherheit
- Existenzielle Bedrohung europäischer Arbeitgeber durch Billigangebote von Unternehmen, die außerhalb Europas angesiedelt sind
- Fehlende Qualitätskontrollen (einschließlich der Möglichkeit der Überprüfung der Echtheit von Produkten und Qualifikationen)
- Potenzielle Schwächung des europäischen Regulierungsrahmens
Die Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger wird darin bestehen, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen zu schaffen und Möglichkeiten der Intervention zu finden, die gleichzeitig Risiken reduzieren und Chancen wahren. Zu diesem Zweck benötigen die Entscheidungsträger präzise Angaben über den Umfang des Crowdworkings, die ausgeführten Tätigkeiten, die rechtlichen und vertraglichen Voraussetzungen, unter denen die Leistungen erbracht werden, die Eigenschaften der Leistungserbringer, die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsumgebung und die damit einhergehenden Gefährdungen für Beschäftigte, Kunden und die Öffentlichkeit.
Dieses Diskussionspapier geht auf die Zusammenfassung eines längeren Artikels zurück, der von der EU-OSHA bei Prof. Ursula Huws in Auftrag gegeben wurde und Rückmeldungen der nationalen Focal Points der Agentur aufgreift, die im Rahmen eines Seminars am 11. Juni 2015 in Bilbao gesammelt wurden.
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